Niklaus Schmid


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Formentera
Eine Insel auf dem Weg zur Legende


Auszüge aus "Formentera - Der etwas andere Reiseführer"


Wie war das noch mal mit dem Wikingerprinz Sigurd, den maurischen Piraten und Bob Dylans Schafwollpullover? Diesen Fragen gehe ich in meinem Buch "Formentera - Der etwas andere Reiseführer" nach. Mal berichte ich aus der Vergangenheit, beispielsweise von den Phöniziern, die auf der Insel die ersten Salzbecken bauten, oder von den Arabern, die ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem anlegten. Dann wieder springe ich zurück in die Gegenwart, erwähne neuzeitliche Legenden, schreibe über die Tier- und Pflanzenwelt oder erzähle Geschichten von Künstlern und Charakterkäuzen. Auszüge, wie gesagt, und zwar im monatlichen Wechsel.

November

Von demTag, an dem die Elefanten kamen ...


Im Sommer 1981 drehte der NDR auf Formentera „Mutschmanns Reise“. Diese Filmsatire über einen missglückten Familienurlaub wurde im Oktober desselben Jahres gesendet. Im November brachte ich eine Videokassette mit und gab sie dem Besitzer der Apartamentos Impala, der alle möglichen Leute vor seinen Fernseher mit Großbildschirm einlud.

Da saßen sie nun, Bauern und Fischer, Taxifahrer und Residenten, achteten jedoch weder auf die Handlung noch auf die Hauptdarsteller. Was sie interessierte, das waren die Nebenrollen. Alle Augenblicke rief jemand: „Da vorne bin ich!“ oder „Lass noch mal zurücklaufen, ich glaube, da war mein Sohn!“

Der alte Kapitän der „Joven Dolores“ hatte den Kapitän seines eigenen Schiffes gespielt, wunderbar mit Nickelbrille und Zigarre im Mund, mindestens so gut wie Sir Alec Guinness, mit dem er Ähnlichkeit hat. Paco erkannte seine Schafe am braunen Fell. Als eine weiße Hemdenbrust Glanz in eine Partyszene brachte, riefen alle „Da guck mal, Figaro Jupp!“, weil nur er, der Inselfriseur, ein weißes Rüschenhemd besitzt.

Praktisch hatte ja die ganze Insel bei diesem Film mitgespielt. Ich erinnere mich an den 27. Drehtag. Ein inseltypisches Vollmondfest stand auf dem Dispositionsplan. Drehort: unsere Finca. Mein Freund Knut, Studioleiter beim ZDF, hatte mich gewarnt: „Fernsehaufnahmen, das heißt, die Elefanten kommen.“

... einer Paella plus Filmjoint ...

Sie kamen. Mit zwei Möbelwagen, legten Schienen für die Kamera, verpflanzten Büsche und warfen einen Generator an, der das fehlende Mondlicht ersetzen musste. Einfacher war es, wie vom Drehbuch gefordert, „fröhliches Volk“ zu finden.

Wie ein Lauffeuer ging der Ruf „Freies Essen, viel Rotwein und 75 Mark Gage“ über die Insel. Und die Leute kamen mit Mofas und Fahrrädern, zu Fuß oder per Anhalter. Die Nachzügler der Hippie-Bewegung, die ihre geflickten Jeans gegen indisch Seidenes getauscht hatten, spielten Hippies. Die Residenten, herausgeputzt, was Boutiquen und Malkasten hergaben, spielten Urlauber. Und die Bauern in Tracht spielten feiernde Bauern.

Es war – fast – wie im richtigen Inselleben, die Gruppen mischten sich nicht. Während die Einheimischen eine Paella zubereiteten und bescheiden auf ihren Einsatz warteten, kreiste bei den darstellenden Hippies schon der Filmjoint. Regisseur Hanno Lunin, der selbst ein Ferienhaus auf Formentera hat, musste mit ansehen, wie sich sein Film selbstständig machte.

… und der Geburt eines Klassikers


Geschmust wurde vor und hinter der Kamera, wobei die Komparsen es eindeutig besser machten, für sie war es ein Heimspiel. Wein und Wiederholungen und süßes Gras verwischten dann, weit nach Mitternacht, die Grenzen von Realität und Schein. Richtig auf der Rolle waren alle wieder, als das Honorar ausgezahlt wurde. Doch zunächst gab es nur die Hälfte, denn die Komparserie sollte ja am folgenden Tag wiederkommen.

Die Story in einem Satz: Leitender Angestellter will mit Frau und Sohn weg von Beruf, Sorgen und Zivilisation; doch die Ferien in der angeblichen Idylle – Eidechsen auf der Terrasse, Fiestas mit Einheimischen und Aussteigern – entpuppen sich schnell als Stress.

„Der Zuschauer“, schrieb hinterher ein Kritiker, „wird den vorgehaltenen Spiegel nur mit Mühe erkannt haben.“ Mag sein, auf Formentera allerdings haben sich, wie gesagt, alle wiedererkannt, und der Film ist ja inzwischen auch so etwas wie ein Klassiker – jedenfalls im Videokino von Es Pujols und bei den Formentera-Freunden zu Hause.

Fortsetzung folgt

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Aktualisiert am 24. Oktober 2016 | kontakt@niklaus-schmid.de

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