Niklaus Schmid


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Finderlohn

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Finderlohn für Max

Der Mann

Was für ein Kaff!
...Nun, sein Kumpel hatte ihn gewarnt: „Kannst meine Bude in Wardenburg für eine Weile haben, aber denk dran, da leben Bürger der soliden Sorte, die den Müll trennen und Fremden gegenüber eher zurückhaltend sind. Für dich bedeutet das Einsamkeit und Langeweile und dass du dort keine Chance haben wirst, deine Kasse aufzufrischen.“
...Und wenn schon, hatte er gedacht. Hauptsache, eine Weile raus aus der Schusslinie.
...Deshalb war er jetzt hier in Wardenburg. Die Unterkunft war umsonst und fürs Essen und Trinken würde das Geld reichen. Doch wie lange noch? Die Jungs mit den breiten Schultern, sie waren ihm schon auf den Fersen, ganz dicht sogar. Schnell musste sich da was ändern. Aber wie? Er kam ja nicht einmal weg, denn sein schöner Jaguar XJ stand im Hinterhof der Geldeintreiber, als „Sicherheit“ hatten sie gesagt.

*

...Um überhaupt mal aus diesem bescheuerten Wardenburg rauszukommen, hatte er sich ein Fahrrad geliehen und war in den Naturpark Wildeshauser Geest gefahren. Wälder, Wiesen, Hecken und Hügelgräber, dann wieder sandige Flächen und Moore, wo allerlei Vögel zwitscherten und Insekten umherschwirrten. Natur eben. War eher was für Wanderer oder Spaziergänger, manche waren mit einem Hund unterwegs, andere ohne. Er hörte fernes Kinderlachen, Hundebellen, lautes Rufen – und plötzlich kam ihm ein Gedanke …
...Drei Tage hatte er inzwischen die Frau mit dem großen Hund beobachtet. Er hatte gesehen, wie sie mit

dem Hund sprach und ihm kleine Kunststücke beibrachte, wie sie ihn lobte und oft auch regelrecht herzte. Die Frau war nicht mehr jung, aber immer noch recht attraktiv. Sie hatte eine zierliche Figur, blondiertes Haar und trug teure Sportkleidung. Ihren Gelände- wagen, einen Mercedes neues Modell, hatte sie bei den Büschen und Bäumen am Flussdeich abstellt.
...Ja, dachte der Mann, genau die Richtige. Ob es da wohl auch ein Herrchen gab, einen Ehepartner oder Freund, irgendetwas in diese Richtung? Egal, heute würde er sie ansprechen, in der zwanglosen Art, wie Hundebesitzer das untereinander tun.

**

...Er ging auf sie zu. Beim Näherkommen nahm er seinen Hund, einen Mischling von schmutzig grauer Farbe, an die Leine. Als er mit der Frau auf gleicher Höhe war, sagte er: „Besser ist besser. Meine Flocke ist klein, aber nicht ohne. Manchmal ein wenig zickig, Weibchen eben. Und Ihrer?“
...„Rüde, heißt Max, ist, wie Sie sehen groß, aber sehr verträglich.“
...„Na, dann.“ Der Mann machte seine Hündin von der Leine los. Die Hunde beschnupperten sich. Der Rüde, ganz angetan von der neuen Begegnung, wollte von Flocke gar nicht mehr ablassen.
...„Max wird ja regelrecht lästig, ich sollte ihn besser anleinen“, schlug die Frau vor.
...„Ach, lassen Sie die beiden doch spielen“, sagte der Mann und zog eine Zigarettenschachtel hervor. „Stört es Sie?“ Als die Frau die Schultern hob, fuhr er fort: „Bei den neuen Gesetzen kann man ja froh sein, noch im Freien rauchen zu dürfen.“ Er hielt der Frau die Schachtel hin.
...„Nein, danke, ich hab’s mir abgewöhnt.“

...„Wollte ich auch, habe es ein Dutzend Mal
versucht. Therapien, Seminare, Pillen – nichts zu machen. Vielleicht verraten Sie mir, wie Sie es geschafft haben.“
...„Ja, vielleicht.“ Die Frau rief den Hund, der das Interesse an Flocke verloren hatte und jetzt irgendwo in den Büschen steckte; man konnte ihn vor Jagdeifer aufjaulen hören. „Er ist wohl hinter einem Wildkaninchen her. Da überhört er schon mal mein Rufen.“
...„Ist eben ein Kuvasz, der denkt und handelt nach eigener Nase.“ Der Mann blies den Rauch aus. „Und ist folglich nicht so gehorsam wie ein Deutscher Schäferhund, aber ebenso treu ergeben.“
...„Ja, stimmt.“ Die Frau war sichtlich beeindruckt. Sie rief: „Max! Max, hier! Komm her!“ Endlich gehorchte der Hund.
...Der Mann trat die Kippe in den Boden. „Vielleicht sieht man sich ja mal.“
...„Ja, vielleicht.“

***

Die Frau

Manchmal, wenn Fiona Seidel abends im Bett lag und der Schlaf nicht kommen wollte, ließ sie den Tag Revue passieren. Sie versuchte dann aus dem Einerlei, aus dem ihr Tagesablauf bestand, die positiven Momente herauszufiltern. Meist gab es da nicht viele. Heute empfand sie als angenehm die Begegnung mit dem Hundehalter, einem Neuling im Revier an der Hunte. Mit seinem dunklen Sakko, das sich über dem Bauch spannte, und den graumelierten Haaren, machte er einen gemütlichen Eindruck, recht gut sah er aus, höflich war er und seine Flocke absolut süß.
...Es hatten sich in der Zeit, in der sie allein lebte, so einige Hundebekanntschaften ergeben. Meist waren es Frauen gewesen, deren Namen sie nicht mal erfuhr, und denen sie deshalb in ihrer Erinnerung Spitznamen verpasste. Da gab es die Surferin, die einen Riesen-
schnauzer hatte, der immer so verrückt an der Leine zog, dass es aussah, als ob sie mit ihm durch das Gras surfte. Oder die Mutti, die mit ihrem Pudel wie zu einem Baby sprach. Lass das, Männlein, das hab ich dir doch schon tausend mal gesagt. Komm, sonst wird Mama böse.
...Mit ihr und den anderen Hundebesitzern hatte Fiona stets ein paar Worte gewechselt, und das war’s dann gewesen.

...Selten war es zu einem etwas längeren Gespräch wie heute gekommen. Vielleicht weil der Mann eine Zigarette geraucht hatte, überlegte Fiona. Und weil er erwähnt hatte, dass es ihm schwer fiel, von diesem Laster loszukommen. Ihre eigenen Erfahrungen kamen ihr in den Sinn.
...Nach allerlei Therapien und mithilfe von Mitteln aus der Apotheke hatte sie zunächst die Menge der Zigaretten von zwanzig auf zwei reduziert, eine nach dem Abendessen und eine vor dem Einschlafen. Und vielleicht wäre es bei diesem Genussrauchen geblieben, wenn sie nicht eines Tages mit brennender Zigarette eingeschlafen und nur von ihrem Hund vor einer Rauchvergiftung gerettet worden wäre.
...Max, der Gute, der Treue, der Starke, er war es gewesen, der sie samt der glimmenden Überdecke aus dem Bett und bis zur Schlafzimmertür gezerrt hatte. Geliebt hatte sie das Tier schon immer, aber jetzt bewunderte sie es; und im Nachhinein war sie froh, dass sie sich damals, als ihr Mann gestorben war und sie sich in dem Haus allein fühlte, für diesen großen Rüden entschieden hatte, und nicht für einen Schoßhund.


****

...Nach dem Schwelbrand rührte Fiona keine einzige Zigarette mehr an. Ich fühle mich gut, ich brauche es nicht mehr, sagte sie sich. Lang hielt sie das durch. Genau bis zu dem Tag, an dem ihr auf der Hundewiese zu Ohren kam, dass Einbrecher die Gemeinde Warden-
burg unsicher machten. Am jenem Abend fand sie keine Ruhe. Jedes Geräusch vor ihrem Fenster ließ sie nach Einbruch der Dunkelheit hochschrecken. Um sich abzulenken, griff sie nach der angebrochenen Zigaret-
tenschachtel, die sie, um sich selbst zu beweisen, wie stark sie sei, nicht weggeworfen hatte. „Ich rauche jetzt eine“, sagte sie im Bad zu ihrem Spiegelbild, „vielleicht hilft mir das.“
...Als sie die Zigarette anzünden wollte, sprang Max sie an. Seine Pfoten legten sich rechts und links von ihrem Kopf auf die Schulter. Sie spürte noch seine feuchte Nase an ihrem Mund, dann fiel sie rücklings in die Badewanne.
...Wer weiß, was passiert wäre, wenn sie sich nicht reflexartig mit beiden Ellbogen abgestützt hätte. So war es nur der Schreck gewesen, der sie aufschreien ließ. Und dann musste sie auch schon lachen, als sie Max erblickte, der sie mit der Zigarette in der Schnauze und

schief gehaltenem Kopf anschaute.
...
„Oh Max, bist ein Kluger, deine Herrin sollte nicht rauchen.“ Sie nahm ihm die Zigarette weg und drückte ihre Stirn gegen seinen Kopf. „Du wirst mich beschützen, bist stark und klug.“
...Klug? Am anderen Morgen kamen ihr Bedenken, ob Max’ Eingreifen nicht doch nur ein Zufall gewesen war. Hundefreunde, das wusste sie, neigen ja dazu, ihren Lieblingen besondere Fähigkeiten zuzuschreiben.
...Mit ein paar Kissen ging sie in den Garten, setzte sich dort auf die Wiese und steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Dann rief sie Max, der sich allem Anschein nach sofort an das Spiel erinnerte, das ihm schon am Abend zuvor die lobenden Worte seiner Herrin beschert hatte.
...Denn kurz darauf lag Fiona auf dem Rücken, der Hund beugte sich über sie und leckte ihr die Stirn. „Ja, fein! Feiner Max!“, rief Fiona. „Damit könnten wir im Fernsehen auftreten.“ Ein bisschen Übung wäre dann allerdings noch nötig, denn natürlich würde es sich besser machen, wenn Max am Schluss die Zigarette in der Schnauze hielte.

*****

Bei dem Gedanken an den Vorfall, wie sie sich dank Max’ Hilfe das Rauchen endgültig abgewöhnt hatte, musste sie lächeln. Ob sie dem Fremden mit dem kleinen Hund davon erzählen sollte – wäre doch ein nettes Gesprächsthema.

Der Mann

Mit der rechten Hand führte der Mann den Mauszeiger über den Bildschirm, mit der linken strich er über den Kopf der Hündin, die er drei Tage zuvor aus dem Tierheim geholt hatte. „Wir haben Eindruck gemacht, Flocke. Du auf Max und ich auf seine Herrin.“
...Ja, dachte er, sie hat angebissen. Als wir über das Rauchen sprachen und sie die angebotene Zigarette ablehnte, da hat ihre Stimme etwas vibriert. Ein Zeichen der Erregung, auch dadurch hervorgerufen, dass ich dabei wie zufällig ihre Hand berührte … Er unterbrach seinen Gedankengang.
...Die Hündin fiepte, sie wollte raus. Er wusste, warum. Die Helferin im Tierheim hatte die Ursache der Unruhe erwähnt. Na prima, dachte der Mann. In ein paar Tagen wird Flocke so weit sein, dass ihr alle Rüden nachlaufen. Auch dieser Max.

...Der Mann schloss das Forum, in dem sich Kuvasz-Freunde austauschten, rief stattdessen ein soziales Netzwerk auf, gab in der Suchmaske ein paar Begriffe ein, drückte noch die Eingabetaste, dann öffnete er die Tür und ging mit dem Hund hinaus.

Die Frau

Was Fiona an Max schätzte, das waren seine Größe und seine Treue, aber auch, dass er sie zu dem täglichen Spaziergang zwang, den sie allein kaum machen würde. Die kleinen Ausflüge taten ihr körperlich gut und sie lernte unterwegs Leute kennen – wie vor Tagen den sympathischen Mann, tierlieb, gute Stimme.
...Fiona hatte gehofft, ihn heute zu treffen, und als sie mit Max mit an der Seite durch die Büsche lugte, sah sie ihn tatsächlich. Er saß auf der Bank am Flussufer und las in einem Buch. Den kleinen Hund konnte Fiona nicht entdecken. Vielleicht war das der Grund, warum sie mit dem Mann nun doch nicht sprechen wollte. Klar, sie hätte sich nach Flocke erkundigen können, aber das kam ihr schon zu persönlich vor. Also ging zu ihrem Wagen zurück und öffnete die Heckklappe, doch Max wollte nicht auf die Ladefläche springen.

******

...„He, was ist los? Mach hopp, Max! Hoppchen!“
...Der Hund blieb stur. Auch gutes Zureden half nichts, mit Gewalt und Strenge war bei ihm sowieso nichts zu erreichen. Und schließlich hatte Fiona ein Einsehen, der Ausflug war ja auch wirklich zu kurz gewesen. „Komm, Max! Wir gehen zum Wasser.“
...Freudig sprang der Hund durch das hohe Gras der Uferböschung. Manchmal war von ihm nur die wedelnde Schwanzspitze zu sehen. Dann wiederum, wenn er einem Wildkaninchen auf der Spur war, hörte sie ihn laut aufjaulen. Gewöhnlich folgte darauf, wenn ihm das Kaninchen entwischt war, ein helles Bellen, was als Aufforderung an seine Herrin galt, dass sie nun an der Reihe sei, ihm bei der Jagd zu helfen.
...Doch das Bellen blieb diesmal aus. Stattdessen hörte Fiona ein Geräusch, das wie ein ferner Schuss klang. Ihr brach der Schweiß aus, sie wusste, dass Jäger auch schon mal auf Hunde schossen und sich dabei sogar im Recht fühlten, weil Hunde mit Jagdtrieb an die Leine gehörten.
...„Max! Max, hier!“
...Noch lange rief sie seinen Namen.
...Noch lange blieb sie in dem Gebiet. Jeden

Spaziergänger ob mit oder ohne Hund fragte
sie: „Haben Sie einen Hund gesehen, weiß, recht
groß, ungarischer Hütehunde, hört auf den Namen Max. – Kopfschütteln, tut uns leid.
...Mehrmals ging sie zu der Ruhebank. Doch der Fremde, den Sie dort zu treffen hoffte, war nicht mehr da.
...Nach Stunden brach Fiona die Suche ab. Auf dem Rückweg betete sie, dass Max zu Hause auf sie warten würde.
...Der Nachmittag verging mit Hoffen und Bangen. Fiona rief Freunde und Bekannte an, sprach aber nur kurz mit ihnen; denn ständig glaubte sie, Winseln oder Kratzen an der Eingangstür zu hören.
...Gegen Abend setzte sich Fiona an ihren Computer und schrieb eine Suchmeldung:

......Finderlohn
......Hund entlaufen.
......Kuvasz, ungarischer Hütehund,
.. ...weißes Fell, groß, friedlich, heißt Max.
......Belohnung 200 Euro, Telefon 0151-26784236

*******

...Die Bezeichnung Hütehund wechselte aus sie aus gegen Herdenschutzhund, die Belohnung erhöhte sie von 200 auf 500 Euro. Sie fügte der Datei noch ein Foto von Max bei. Dann druckte sie mehrere Zettel aus.
...Am anderen Morgen heftete sie die Suchmeldungen im Gebiet der Hundewiese an Strommasten, Bäume und Weidezäune. Sie durchstreifte den Naturpark, befragte die Leute und kehrte schließlich nach Hause zurück, wo sie sich mit dem Mobiltelefon auf dem Schoß in einen Sessel setzte und aus dem Fenster starrte.
...Tränen liefen ihr über die Wangen.

Der Mann

„Fünfhundert Euro“, murmelte der Mann. Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, die Telefonnummer zu wählen. Doch dann legte er das Handy zur Seite, zündete sich eine Zigarette an und blies Rauchringe in die Luft.

Die Frau

Am dritten Tag nach Max’ Abwesenheit klingelte das Telefon. „Guten Tag, ich habe einen Ihrer Zettel entdeckt.“
...Fiona erkannte die Stimme des Anrufers sofort. „Hallo, Sie sind doch der Mann mit der kleinen Mischlingshündin Flocke, nicht wahr?“ Es sprudelte so aus ihr heraus. „Mein Gott, mir fällt ein Stein vom Herzen. Sie haben ihn, Sie haben Max gefunden, ja? Wie geht es ihm?“
...„Kommt drauf an.“
...„Wie … wie meinen Sie das?“
...„Ich meine, wir sollten zunächst über den Finderlohn sprechen.“
...Fiona konnte ihre Enttäuschung kaum unterdrücken. Der Mann, der ihr auf Anhieb so sympathisch gewesen war und der ja selbst einen Hund hatte, er schien sich nur für die Belohnung zu interessieren.

********

...„Finderlohn, stimmt. Aber sagen Sie mir jetzt bitte, ob es Max gut geht. Ist er bei Ihnen?“
...Sie hörte, wie eine Tür geöffnet wurde, ein gedämpftes Rufen, dann erklang Max’ markantes Gebell. Jetzt waren es Tränen der Erleichterung, die ihr über die Wangen liefen. „Ja, er ist es. Die fünfhundert Euro, die bekommen Sie, klar, selbstverständlich.“
...Der Mann räusperte sich. „Als ich sagte, dass wir über den Finderlohn sprechen müssten, da meinte ich die Höhe der Belohnung.“
...„Aber wieso …?“
...„Nun, Ihr Max wollte, nein, falsch, Ihr Max hat sich mit meiner kleinen Hundedame vergnügt, die gerade ihre … ach, Sie verstehen schon. Ich finde diese Verfehlung, doch ja, so kann man es nennen, ich finde diese Verfehlung hat ihren Preis.“
...„Wie viel?“, fragte Fiona knapp. Empörung mischte sich in die anfängliche Erleichterung.

...„Nun, machen Sie einen Vorschlag“, sagte der Mann. „Aber bedenken Sie dabei, dass ich Ihren Hund gefüttert habe, und so ein großer Hund, der frisst …“
...„Nun sagen Sie schon! Wie viel?“
...„Ich frage mal so: Was hat Ihr toller Geländewagen gekostet? Dreißigtausend, vierzigtausend?“
...„Wieso? Was …? “ Ihre Stimme brach, sie war mit den Nerven am Ende.
...Statt einer direkten Antwort hörte Fiona, wie der Anrufer mit dem Hund sprach. „Na, Max, sind wir da nicht einer Meinung? Ein liebevolles Lebewesen wie du sollte seiner Herrin doch zumindest ein Drittel von dem wert sein, was ein toter Gegenstand wie ein Geländewagen kostet, stimmt's?“
...Als Fiona vernahm, wie der Hund mit Winseln reagierte, gab es für sie kein Halten mehr, sie schrie: „Was wollen Sie? Mich quälen?“

*********

...Der Anrufer, der merkte, dass er sein Spielchen zu weit getrieben hatte, nannte eine Summe. Es war ein hoher Betrag, doch Fiona versprach, das Geld zu besorgen..„Anschließend komme ich zu Ihnen, wo wohnen Sie?“
...„Nein, nein, nein, das müssen wir anders machen. Schließlich möchte ich doch nicht, dass Sie mit irgendwelchen übellaunigen Hundefreunden bei mir auftauchen oder gar mit Polizisten, die unsere kleine Abmachung missdeuten. Nein, nein, so geht das nicht. Wir treffen uns allein, und zwar im Gebiet der renaturierten Hunte.“ Er beschrieb die genaue Stelle an der Flussbiegung und betonte noch einmal: „Nur Sie und ich.“
...Fiona schluckte. „Einverstanden. Ich komme allein. Und bringen Sie Max mit.“

Der Mann

...„Läuft doch“, sagte der Mann zu sich selbst. „Der Vergleich toter Gegenstand und liebevolles Lebewesen verfehlt nie seine Wirkung.“

...Er blickte auf den Fluss, der hier seinem natürlichen Lauf folgte, an einigen Stellen die Steilufer ausge-
waschen hatte und sich in der Mitte um größere Gesteinsbrocken zwängte, dort kleine Strudel bildete und dabei ein beruhigendes Geräusch verursachte. Die Sonne schien, der Mann lehnte sich an den glatt geschliffenen Findling, den er der Frau als Treffpunkt beschrieben hatte; richtig gemütlich war's – fast wäre er eingenickt.
...Doch dann hörte er den Wagen kommen. Nachdem die Frau ausstiegen war, erhob er sich, klopfte seine Hose sauber und ging ihr auf halbem Weg entgegen.
...„Na, kein Schlaumeier auf der Ladefläche oder geduckt auf dem Beifahrersitz?“
...Sie schüttelte den Kopf. „Wo ist Max?“
...Mit dem Daumen wies er hinter sich. „Angekettet
an einem Baum. Sie sollten jetzt einfach weitergehen und das Geld in den Abfallkorb dort bei dem Felsen legen."

**********

...„Und dann?“
...„Ich komme nach. Wenn die Summe stimmt, gebe ich ihnen einen Schlüssel, mit dem Sie das Schloss an seiner Kette öffnen können.“
...Die Frau folgte der Anweisung.
...Der Mann nahm den Umschlag aus dem Abfallkorb und zählte das Geld. „Nur die Hälfte? Äh-äh, Sie wollen Ihren Hund doch gesund und mit vier Pfoten wieder haben, oder?“
...„Den Rest gibt es später. Zuerst muss ich sehen, wie es Max geht.“
...Blöd war sie nicht, überlegte der Mann. Soll sie ihren Köter doch sehen. Wenn etwas schieflief, blieb ihm immerhin noch die Hälfte der Summe.
...Er gab ihr den Schlüssel.
...Nach einer Weile vernahm er das freudige Bellen des Hundes. Kurz darauf kam die Frau wieder auf ihn zu. Max begrüßte seinen Entführer, mit dem er sich in den drei Tagen anscheinend angefreundet hatte, mit Schwanzwedeln.

...„Und jetzt den Rest!“, befahl der Mann, während er auf die Pistole in seinem Hosenbund deutete.
...„Ist im Auto.“
...„Dann halte ich Ihren Liebling am besten bis zu Ihrer Rückkehr bei mir.“
...Schnell war die Frau zurück, überreichte dem Mann den zweiten Geldumschlag und nahm den Hund im Empfang.
...„Nachdem wir nun wieder Freunde sind“, sagte der Mann und lächelte vieldeutig, „könnten wir die Friedenspfeife rauchen. Ach, stimmt, Sie haben es sich ja abgewöhnt. Was dagegen, wenn ich …?“
...Der Mann unterbrach sich, weil die Frau ihn wortlos hatte stehen lassen. Er sah ihr nach, wie sie auf ihren Wagen zuschritt. Er beobachtete noch, wie sie die Heckklappe für den Hund öffnete, dann lehnte er sich wie zuvor an den Felsen und langte in seine Sakkotasche.

***********

Die Frau

Als Fiona sich umdrehte, bemerkte sie, dass der Mann sich eine Zigarette in den Mund steckte. Es schien seine letzte zu sein, da er die Schachtel in den Fluss warf, so aus dem Handgelenk wie man eine Frisbeescheibe wirft. Macht man doch nicht, war Fionas erster Gedanke. Der zweite war, dass sie Max von der Leine ließ, ihm den Kopf tätschelte und dabei ins Ohr flüsterte: „Rauch, Rauch, ja wo ist der Rauch? Such! Such!“

Der Mann

Wahrscheinlich hat er ein Kaninchen gewittert, dachte der Mann, als er sah, wie der Hund plötzlich losrannte. Als er seinen Irrtum bemerkte, hatte Max schon fast die gesamte Strecke zurückgelegt. Die letzten zwei Meter bis zu dem Findling bewältigte er in einem Sprung. Reflexartig versuchte der Mann, den anstürmenden Hund mit beiden Armen abzuwehren. Ohne Erfolg. Geschätzte sechzig Kilo hält man nicht so einfach auf Distanz.

...Die dicken Pfoten prallten ihm auf die Schulter, der große Kopf kam seinem Mund ganz nah. Er nahm noch wahr, wie der Hund äußerst geschickt, ja fast zart, ihm die Zigarette aus dem Mund nahm – dann rutschten ihm die Füße weg und er verlor das Gleichgewicht.
...Im Fallen hörte er, das Hecheln des Hunden, der an seinem Arm zerrte, als wolle er ihn wegziehen. Der Mann spürte auch noch, wie er mit dem Hinterkopf auf einen harten Gegenstand traf.
...Dass er die Flussböschung hinunterrollte, das nahm er schon nicht mehr wahr.

Die Frau

„Nein, Max, ist nicht deine Schuld, wolltest nur helfen“, sagte die Frau ein über das andere Mal. Der Hund hielt den Kopf schief, er lauschte der zärtlichen Stimme, während seine Herrin dem schwarzen Fleck nachblickte, der in den Wellen trieb.
...„Ja, so ist das“, sagte die Frau nun mehr für sich. „Da wollte er den schlauen Erpresser spielen – und kann nicht einmal schwimmen.“

- Ende -

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Aktualisiert am 15. April 2024 | kontakt@niklaus-schmid.de

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