Niklaus Schmid


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Damals

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Teil 1 .
( << zu Teil 3 Sioma Baram und Teil 4 Leslie Bailly)

Es war einmal auf einer kleinen Insel im westlichen Mittelmeer ...

Und immer wieder kamen sie, bezaubert von dem einzigartigen Licht, inspiriert durch die urwüchsige Landschaft, verwöhnt durch ein kristallklares Meer, angezogen durch moderate Preise für Wein und Wohnungen: Maler, Schriftsteller und Lebenskünstler, Schelme, Träumer und schlichte Sonnenhungrige. Manche kamen für einen Urlaub - und blieben dann für Jahre.
Einer von ihnen war
Heinz Löbig, genannt Goldfinger, der am 1. März 2000 auf Formentera gestorben ist.
Ein Blick zurück ...



Mofaknattern. Ein Mann steigt ab, hebt die Brille mit den getönten Gläsern. Heinz Löbig ist wieder da.
Als Goldfinger war er vor Jahren jedem auf der Insel bekannt, und eine Zeit lang sogar in ganz Deutschland. Die Illustrierte "Stern" hatte zwei dicke Berichte von Deutschlands berühmtesten Goldschmuggler gebracht.
Dem Tatort-Autor Michael Molsner dienten Löbigs Abenteuer als Vorlage zu dem Krimi "Gold unterm Sakko".

Den Beinamen hatte sich Heinz durch seine Tätigkeit für ein Genfer Syndikat erworben, das Gold von Kurieren nach Fernost transportieren ließ. Heinz Löbigs Schmuggelreisen gingen so lange gut, bis er eines Tages auch seiner Tochter eine Spezialweste anlegen ließ. Gleich beim ersten Flug griff ein fremder Mann der starken Marlene - sie trug 28 Kilo hauteng - beim Gang zur Bordtoilette galant an die wertvolle Seite: "Ladies first."

Als die Maschine in Manila landete, wartete auf dem Flughafen eine Meute von Reportern. "Ich dachte, da kommen die Rolling Stones, aber die meinten mich", erinnert sich Heinz nicht ohne Stolz.

Der freundliche Herr im Flugzeug war der philippinische Zollchef gewesen. Dem aber waren Heinz und seine Tochter mehr wert als eine Rockgruppe. Denn das Familienunternehmen trug Gold für weit über eine halbe Million Mark am Körper. Doch bevor ihm der philippinische Staat den Prozess machen konnte, gelang dem "German Goldfinger", wie er von der internationalen Presse flugs genannt wurde, die Flucht.

Ein bestochener Helfer fuhr Heinz im Regierungswagen mit Blaulicht zu einer einmotorigen Cessna, die zur achthundert Kilometer entfernten Insel Mindanao abhob. Drei Tage versteckte sich Heinz in einer Schilfhütte, dann brachte ihn ein Schmugglerboot nach Borneo. Von dort ging es zurück nach Deutschland. Zwar war er nach deutschem Recht durch die Kurierdienste nicht straffällig geworden, doch seine Karriere beim Syndikat war zu Ende. Heinz zog nach Formentera, um erst einmal auszuspannen.

Die Verschnaufpause währte nicht lange. Als Anfang der siebziger Jahre der Rumäne Csürös geschnappt wurde, der der Düsseldorfer Commerzbank acht Tonnen geschmuggeltes Gold über den Tresen geschoben hatte, beschuldigte er den ehemaligen Stuka-Flieger Löbig, die Ware eingeflogen zu haben ...

Heinz wurde zur Vernehmung vorgeladen. Auf Formentera verabschiedete er sich mit den Worten: "Ich muss da mal eine Sache kurz regeln."
Heinz' Freunde mussten lange auf seine Rückkehr warten. Obwohl der zwielichtige Kronzeuge Csürös sich umgehend verflüchtigte, hielt ihn das Düsseldorfer Landgericht für glaubwürdig und verurteilte Löbig wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 3,8 Millionen Mark zu drei Jahren Haft. "Ohne handfesten Beweis", wie die "Stuttgarter Zeitung" damals feststellte.
Heinz fühlt sich noch heute als Opfer der Justiz und einer Intrige.

Er ist siebzig, und die Beine tun ihm auch weh. "Vom verdammten Goldschleppen", schnauft er und bockt das Mofa auf.
"Aber das ist doch zwei Jahrzehnte her", gebe ich zu bedenken.
Er lacht. "Nicht ganz so lange. Vor drei Jahren bin ich noch mal los, für die alte Firma."
"Und die Kontrollen?"
Jetzt lacht er noch lauter, über meine Naivität. "Du kennst die Schweizer nicht. Mit dem Zettel vom Syndikat gehst du außen um den Piepser rum. Der Zollbeamte zählt nur die Goldbarren in deiner Weste zwei, vier, sechs - von wegen der Rückerstattung der Mehrwertsteuer."
Stunden könnte ich zuhören, wenn Heinz erzählt. Als Michael Molsner mal auf Formentera war, brachte ich ihn mit Heinz zusammen, der ja, wie gesagt, die Vorlage zu Molsners Krimi vom Gold unterm Sakko geliefert hatte.
Ich dachte, jetzt haben die beiden viele Stunden zu reden. Doch das Gespräch dauerte nur eine Minute.
"Ach, Sie sind derjenige, der …"
"Ja, bin ich."
"Hm."
Und das war's dann.
Tja, Michael, da hast du aber was verpasst! Heinz ist ein begnadeter Erzähler, und er hat was zu erzählen. Goldfinger war nicht nur Deutschlands routiniertester Goldschmuggler. Ähnlich schnell wie seine Ausbildung zum Sturzkampfflieger hat er einen Kurs als Opernsänger hinter sich gebracht, war bekannt mit Heinz Rühmann, fuhr mit Harry Piel im Taxi, als ein Rad abbrach, drehte Buletten in einer Strandbude auf Formentera, vertrieb Altbier in Tanger und junge Mode auf den Kanarischen Inseln. Doch seine witzigste Geschichte erzählt er so:

"Meine Kollegen vom Syndikat erkannte ich in den Hotelhallen auf den ersten Blick, und zwar an den weggespreizten Beinen der Sessel, in denen sie saßen. Ich mit meinen hundert Kilo plus der vierzig Goldbarren durfte mich erst gar nicht setzen. Die Weste konnte ich nicht ausziehen; sie war versiegelt und durfte allein vom Empfänger mit einer Rasierklinge aufgeschnitten werden. Auf diesen Mann, der sich mit der Hälfte einer Dollarnote ausweisen würde, wartete ich im Sheraton in Neu-Delhi. Hitze, Durst, und aufs Klo musste ich auch noch. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und ging auf die Toilette. Als ich abziehe, reißt über mir der Wasserbehälter von der Wand, und unter mir kracht die Porzellanschüssel zusammen. Um mich herum Kacke, Wasser, Scherben - und auf einer stand der Markenname Niagara."


aus "Formentera - Der etwas andere Reiseführer" Kapitel Juni

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Teil 2
handelt von
James con hielo
der sich am 3. Februar 1980 auf Formentera das Leben genommen hat
und von der Band, die sich nach ihm benannt hat




Da war James, ein ehemaliger Kriegsfotograf in Vietnam, der seine Kamera weggeworfen hatte, aber die Gräuelbilder in seinem Kopf nicht loswurde. "Mann, ich habe Soldaten an den Bäumen hängen sehen, mit dem Kopf nach unten, denen die Ameisen die Augen wegtrugen."

Als er mir das erzählte, war er nicht mehr nüchtern, aber auch noch nicht völlig betrunken, und nur in dieser äußerst knappen Zeitspanne sprach er von seiner Vergangenheit. James trank Kognak immer mit Eis, deshalb nannten sie ihn James con hielo. Er hatte sich einer Inselband angeschlossen, sang aber immer nur einen Song, den vom
House of the Rising Sun. Manchmal machte er den Ansatz, etwas aus seinem Leben zu erzählen. Wenn die Zuhörer ihn dann betreten anguckten, besann er sich wieder, lachte ins Mikrophon und mimte den Clown.




Jeder wusste, dass er Drogen nahm, harte Drogen. Dennoch waren alle wie vor den Kopf geschlagen, als er sich eines Tages das Leben nahm. Er wurde auf dem Friedhof in San Francisco begraben, und weil keiner seinen vollständigen Namen kannte, steht auf dem Holzkreuz James con hielo. Unter diesem Namen tourte die gleichnamige Inselband noch eine Weile durch Deutschland, Spanien und der Schweiz.

aus "Formentera - Der etwas andere Reiseführer"


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In der Nacht vom 3. auf den 4. Februar 1980 hat sich James erhängt. Formentera-Autoren, die gerade einen Lyrikband zusammenstellten, haben ihm das Buch "Inselerde" gewidmet; es enthält auch dieses Spontangedicht von Eva Will.


In der Nacht
als um zwanzig Uhr sechsundvierzig
ein noch großer Mond aufging,
in der Nacht,
als das Fest aufflammte,
die Bäume mit dem Wind flüsterten
und die Sterne vollzählig waren,
in dieser Nacht
vom dritten auf den vierten Februar
hat sich James con hielo erhängt.
- Aber am folgenden Abend
ging die Sonne wieder unter,
prunkvoll, wie immer.

Später saßen wir zusammen
in bedrückter Schweigsamkeit,
im dumpfen Rausch,
um die Nähe des Todes
besser ertragen zu können,
dachten an unsere Begrenztheit
und an diesen Menschen,
dem die Mandelblüte den Krieg
nicht aus den Augen wischen konnte,
dem der Mond keine Freude geschenkt hat,
der bei dem Versuch zu vergessen
ein tausendjähriges Kind geworden ist,
an dem vielleicht jeder etwas versäumt hat.
- Aber auch in dieser Nacht
legte der Mond sein Licht auf das Meer,
und die Sterne protzten mit ihrem Glanz.

Ausschnitt der Plattenhülle


die "James con Hielo Band" Ende der 70er-Jahre ...


... und heute mit neuem Schlagzeuger
(die Fotos mit freundlicher Genehmigung von Mario Di Cara und seinen Freunden, die bald wieder Konzerte geben)


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Aktualisiert am 1. Oktober | kontakt@niklaus-schmid.de

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