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Kurzkrimi Nr. 16
Mord am Hellweg
Railway to hell
Meine Familie, ständig hat sie an mir was auszusetzen. Luigi, deine Weibergeschichten, du bist ein Träumer! Luigi, warum trinkst du so viel? Jetzt ist dein Führerschein weg. Was wirst du machen? Wie willst du ohne patente deinem Beruf nachgehen?
...Na, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, sage ich, wie Hunderttausende andere auch.
...Luigi, fehlt nur noch, dass du dir eine blonde Frau nimmst, sagen sie.
...Ja, warum eigentlich nicht, denke ich, während ich wieder in diesem bescheuerten Zug, der Hellwegbahn, sitze und mir durch das Fenster die Landschaft anschaue. Flaches Land, Nieselregen fällt auf Äcker und Weiden und lässt die Industriebrachen noch trostloser aussehen, Windräder in der Ferne.
*
...Dieser Regen, maledetto! Ich vermisse die Sonne, das Grün der Orangen- und Olivenbäume, den Duft der blühenden Macchia. San Luca ist weit.
...Stattdessen Dortmund. Jetzt schon den dritten Tag. Grauer Himmel, graue Häuser, graue Gesichter. Eine Frau mit Einkaufswägelchen, eine andere, die mit einem Hund spricht, ein Mann in bunter Radlerkleidung, Schulkinder, Arbeiter. Der Kerl mit dem Schnauzbart da drüben, der saß gestern schon auf demselben Platz, hält eine Aktentasche auf dem Schoß, wahrscheinlich stecken eine Thermosflasche und eine Butterbrotdose darin. Bestimmt ist er auf dem Weg zu irgendeiner schlecht bezahlten Arbeit, hat einen Stall voller Kinder zu Hause und eine Frau, die auf eine neue Küche spart. Was für ein armseliges Spießerleben!
...„Ausstieg in Fahrtrichtung links“, schnarrt es aus
dem Lautsprecher. Was soll das? Sind die Fahrgäste etwa blind?
...Vorhin stand Signal Iduna Park auf dem Schild, dann Hörde, danach Aplerbeck, immer noch Dortmund. Hört dieser Häuserbrei denn nie auf? Rechts ziehen jetzt Werkshallen mit zerbrochenen Fensterscheiben vorbei, aus bröckelnden Backsteinen wachsen Birkenstämme, Brombeergestrüpp bildet neben den Gleisen dichte Hecken und auf einem Wegweiser steht Bezirksfriedhof. Wie passend, denn wer will in dieser Umgebung schon
leben. Ich möchte hier nicht einmal begraben sein, in diesem Land der toten Seelen.
...Der Schaffner kommt. Der Mann mit der Aktentasche zeigt ihm einen Ausweis. Er hat ein kariertes Flanellhemd an, trägt Turnschuhe zu einer brauen Cordhose, bunte Socken. Orribile! Mit solchen Menschen auf engstem Raum, in dieser Bahn, während mein BMW, das elegante 6er Coupé, in Dortmund in einem Parkhaus wartet, nachtschwarz wie die Sünde und mit getönten Scheiben, die keine neugierigen Blicke zulassen.
...Ich fische meine Automatenkarte aus dem Sakko.
Der Schaffner glättet sie, beäugt sie, nickt mir zu:
„Gute Fahrt!“
...„Grazie!“, entfährt es mir ungewollt auf Italienisch. Ich habe nicht so gern, wenn man meine Herkunft sogleich einordnen kann.
...Der Schnauzbärtige kommt zu mir herüber, spricht deutsch mit italienischer Betonung: „Auch zur Arbeit?“
...„Sì, ja.“
...„Dann besser Monatskarte oder NRW-Ticket, ist günstiger.“
...Was sonst noch, Stützstrümpfe, Seniorenpass? Ich bin achtundzwanzig, trage Stiefeletten von Fratelli Rossetti, einen Anzug von Brioni und darunter eine vernickelte Walther PPK. Für alle Fälle.
**
...„Wo, was?“
...„Wo arbeiten?“
...„Hier.“ Ich mache eine Handbewegung nach links und rechts. „Ruhrgebiet, Westfalen.“ Das ist nicht mal gelogen. Denn ich bin auf dem Weg zur Arbeit. Ich muss was regeln, hier zwischen Hörde und Unna, zwischen Werl und Soest.
...„Was arbeiten?“
...„Vertreter.“ Auch das stimmt. Ich bin tatsächlich Vertreter. Denn ich vertrete die Interessen meiner Familie. Luigi, sagt sie, bring das in Ordnung, unsere Kunden proben den Aufstand. Obwohl wir ihnen die Einrichtungen bezahlt haben und sie beschützen, zeigen sie sich undankbar. Die einen weigern sich, einen Freund unserer Familie einzustellen, die anderen wollen kein pizzo bezahlen. Hier ist die Liste, präg dir die Namen ein. Fang an mit dieser Küchenschabe in Unna, zwei Monate ist sie in Rückstand, wenn wir nicht eingreifen, geht uns die ganze Region verloren.
...Die Region? Da muss ich lachen. Ein bescheuerter, regennasser Schmutzfleck. Aber er bringt Geld, das zählt. Und er ist, verdammt noch mal, unser territori,
er ist das Herrschaftsgebiet meiner Familie.
...„Aha, Vertreter“, wiederholt mein Gegenüber.
...„Ja“, antworte ich.
...„Landmaschinen?“
...„Nein, bin im Gaststättengewerbe.“ Auch das ist
nicht gelogen. Vorgestern war ich im Ristorante Costa
.
Azzurra. Ein Lokal der Mittelklasse, aber die Speisen sind fast erstklassig: Mein Carpaccio vom Rinderfilet war garniert mit Rucula und Parmesan, anschließend nahm ich eine kleine Portion Spaghetti Frutti di Mare. Zum Hauptgericht Osso buco – das Fleisch war so zart, dass man es mit dem Messerrücken schneiden konnte – bestellte ich einen kräftigen Maso Le Viane Trentino Rosso; ich trank zwei Gläser und war bis dahin zufrieden.
...Es kam der Espresso und es kam der Besitzer persönlich, ob ich sonst noch etwas wünsche, wollte er wissen. Ja, sagte ich und nannte die Rückstände für drei Monate. Wie? Was? Dabei hielt der Witzbold eine Hand hinter sein rechtes Ohr, als ob er schlecht hören könne. Andiamo, amico!
...Wir gingen dann ins Hinterzimmer. Ich legte meine Walther auf den Schreibtisch, platzierte die Schachtel mit Wattestäbchen daneben, steckte dem Witzbold zwei dieser Reinigungsstäbchen in die Ohren, schlug blitzschnell mit den geöffneten Handflächen zu und sagte, dass ich beim nächsten Mal nicht mehr die Finger meiner Hände spreizen, sondern ihm die verdammten Ohrreiniger ins Hirn schlagen würde. Danach gab es kein Wie, kein Was mehr, stattdessen überreichte er mir beim Hinausgehen die Tageskasse, sozusagen als Anzahlung auf das Schutzgeld, la tangente, oder wie meine Familia es nannte il pizzo. Den Rest, amico, hole ich in einer Woche. Arrivederci!
Fortsetzung folgt ......
am 1. Februar.........