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Kurzkrimi Nr. 11
Vielen Dank, liebe Spinne!
Wenn ich hier so rumsitze und hin und wieder mit meinem Joint eine Spinne in die ewigen Jagdgründe schicke, dann denke ich an die Weiber, die ich früher gevögelt habe. Ich hab es auf dem Rücksitz von meinem Cabrio gemacht, in einem Zugabteil der Bundesbahn, stehend in einem Kornfeld oder im Sitzen in der letzten Reihe eines Kinos. Ich habe es im Wasser und an Sandstränden gemacht, an Steilküsten und in Aufzügen, egal, ob sie jung oder alt, dick oder dünn waren. Man soll doch keine Vorurteile haben.
...Ja, ich habe es mit Hausfrauen getrieben, wenn ihr Alter auf Schicht ging oder wenn er besoffen im Nebenzimmer auf der Couch lag.
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Meist hab ich sie ganz schnell rumgekriegt, manchmal hat es länger gedauert, und hin und wieder musste ich sie vorher auch in ein Restaurant einladen – oder ihnen Geld geben. Ja, ja, tolle Zeit!
...Aber verdammt lang her. Und das ist mein Problem. Wieso? Was heißt hier wieso? Weil ich an eine geraten bin, die mir das Leben schwer macht, richtig schwer. Einerseits bin ich immer noch überzeugt, dass sie von Anfang an darauf aus war, na klar, denn warum sonst trug sie damals ein Röckchen, so kurz, dass es bei
jeder Bewegung ihr weißes Höschen aufblitzen ließ. Andererseits lässt sie mich zappeln, schon seit Wochen. Nee, eine Schönheit ist sie nicht, eher so eine, die erst auf den zweiten Blick wirkt, dann aber umso mehr.
...Ich hab sie in einem Museum kennengelernt. Da staunen Sie, was? Nun, als sich bei mir die ersten grauen Haare zeigten, da hab ich mein Revier gewechselt, bin ich zu kulturellen Veranstaltungen gegangen, habe Kunstausstellungen besucht, und so landete ich schließlich auch mal in der Küppersmühle im Duisburger Innenhafen. Sie stand da mit schräg gehaltenem Kopf vor einem Bild von Georg Baselitz.
Ich stellte mich neben sie und hielt meinen Kopf
ebenso schräg und fragte, so über die Schulter, ob
ich das Bild für sie anders herum hängen solle oder
ob ich ihr bei einem Kopfstand helfen könne.
...„Das könnte Ihnen wohl so passen!“, sagte sie und strich mit der flachen Hand über ihren Minirock.
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...Es klang abweisend und auffordernd zugleich. Erst jetzt sah ich ihr ins Gesicht und bemerkte so ein Glitzern in ihren Augen, ein Glitzern, das alles Mögliche bedeuten konnte, auch eingefärbte und falsche Kontaktlinsen.
...So oder so, für mich war die Sache klar. Ein Kaffee im Museumscafé und dann ab zu mir.
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Dann waren wir in meiner Bude, aber sie wollte sich nicht einmal berühren lassen. Lass dir Zeit, sagte ich mir, sprich mit ihr. Worte, du musst sie schwindelig quatschen. Also sprachen wir, eine Stunde, vielleicht sogar mehr. Ich schaute ihr über den Tisch hinweg in die Augen und glaubte endlich so etwas wie Bereitschaft zu erkennen, doch kaum stand ich auf, da schrie sie: „Nicht anfassen!“
...Nicht anfassen! Wie sollte ich sie ins Bett kriegen, ohne sie vorher zumindest mal angefasst zu haben.
...Die erste Berührung, gewollt oder ungewollt, geschickt oder plump – egal! Aus Erfahrung weiß man doch, dass diese erste Berührung das Eis bricht. Der Rest kommt danach fast von allein. Aber ohne diesen ersten Körperkontakt, auch das weiß jeder, da geht es eben nicht.
...Wenn Worte nicht helfen, dann womöglich Alkohol. Beim nächsten Besuch hatte ich eine Flasche Sekt kalt gestellt. Sie trank die halbe Flasche, rülpste, eine andere Wirkung zeigte sie nicht. Oder doch. Während sie kurz darauf mein Badezimmer aufsuchte, baute ich einen Joint. Als sie zurück kam und hörbar die Luft einzog, bot ich ihr die Tüte an. Na, also, dachte ich.
...„Was ist das?“, wollte sie wissen.
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...„Schwarzer Afghane.“ Ich stieß die Luft aus. „Vorkriegsware. Beste Qualität.“
...„Ich spür aber nichts.“
...„Lehn dich zurück, lass dich treiben.“
...Sie schloss die Augen, ich stand auf, ging auf sie zu, wie ein Engel sah sie aus. Als ich den Engel berühren wollte, schrie er: „Vorsicht, nicht anfassen!“
...Nicht anfassen! So ging das nun schon eine Ewigkeit.
...War sie zu ängstlich oder zu anständig? Um das herauszufinden hatte ich bei unserem letzten Treffen wie zufällig ein Pornoheft auf meinem Küchentisch liegen lassen, sie guckte auch ganz interessiert und ihre Augen bekamen wieder diesen eigentümlichen Glanz wie im Museum. Doch als ich meine Hand auf ihr Knie fallen ließ, rief sie wieder. „Nur gucken, nicht anfassen!“
...Es war wie in dieser blöden Bierwerbung. Allerdings
längst nicht so lustig. Im Gegenteil, ich stand kurz vor dem Durchdrehen. Wenn das so weitergeht, dachte ich, werde ich mir eine aufblasbare Puppe bestellen oder aus lauter Frust beim nächsten Spaziergang im Park dem Penner, der dort in dem Pavillon haust, in die Weichteile treten.
...Ja, soweit war ich. Um mich zu beruhigen fischte
ich mir, als sie weg war, ein Bier aus dem Kühlschrank
und machte den Fernseher an. Tiersendungen, die beruhigen mich, am liebsten sehe ich die Filme, in denen es richtig zur Sache geht. Löwen, die einer Antilope ins Genick beißen, Paviane, die mit gefletschten Zähnen auf Geparden losgehen, drollig ist auch immer wieder anzusehen, wie eine Bande Erpel eine junge Ente vernascht. O ja, auch bei dem drolligen Federvieh geht es oft mächtig rund.
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...Bierflasche in der linken, Fernbedienung in der rechten Hand, schaltete ich durch die Programme, bis ich auf „Abenteuer Erde“ stieß. Der Moderator erzählte was von einem Kampf auf Leben und Tod. Hörte sich vielversprechend an. Tatsächlich war es ziemlich öde. Es ging um Spinnen, aber Spinnen zu beobachten ist ungefähr so aufregend wie dem Gras beim Wachsen zuzusehen.
...Doch dann war ich plötzlich hellwach. Der Typ im Fernsehen sprach über Spinnenfurcht und dass besonders Frauen darunter leiden und dass diese
beim Anblick von Spinnen auf der Stelle schwach würden und …
~
Am nächsten Tag, gleich nach meinem Frühstücksjoint, fuhr ich nach Duisburg-Neumühl. Der Verkäufer in der Zoogroßhandlung Zadak erzählte mir, was Spinnen
für tolle Mütter seien, wie sie ihre Brut fütterten und
schützten und wie schnell Spinnen sich vermehrten.
Die Worte kamen aus seinem Mund wie eingesponnene Fliegen, während ich, fast schon im Trance, den Kerl anschaute, der mit seinen dünnen Fingern vor meinem Gesicht herumfuchtelte und dessen dunkel behaarte Unterarme wie die Beine einer verdammten Vogelspinne aussahen.
...Vielleicht weil ich ihn so versonnen anschaute, vielleicht weil sonst kein Kunde da war, erzählte er mir alles Mögliche über Spinnen, kam auch auf die Spinnenfurcht im Zusammenhang mit Frauen zu sprechen und verstieg sich zu dem Satz: „Ohne die Spinnenfurcht, die so manches sittsame Frauenzimmer in die schützenden Arme eines furchtlosen Spinnenjägers treibt, also ohne diese archaische Arachnophobie wäre die Menschheit sicher schon ausgestorben. Hahaha! Ja, da schauen Sie, mein Herr, kleine Tiere, große Wirkung.
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...Genau, was ich suche, dachte ich und vergewisserte mich: „Tatsächlich große Wirkung? Mir schwebt nämlich was Wirkungsvolles für das Terrarium meines, ähm, Neffen vor.“
...Er sagte: „Ich zeige Ihnen ein Tierchen, das Ihrem Neffen Freude machen wird.“
...Für mich klang das wie: Ich zeige Ihnen ein Tierchen, das die kleine widerspenstige Schlampe umhauen wird.
...Ich sagte: „Nun, ich möchte sie schon beeindrucken, ich meine ihn, meinen Neffen.“
...„Verstehe. Na dann.“ Er führte mich am Ellbogen zum Ende eines langen Regals, das aussah wie die Fernsehabteilung eines Elektronikmarktes. Nur dass hier lebende Viecher hinter den Scheiben hockten. Vor einem der Glaskästen blieb er stehen. „Wenn Sie ganz sicher gehen wollen, mein Herr, dann nehmen Sie
diese hier: Theraphosiedae, eine wahre Schönheit,
sie wird Ihren Neffen begeistern.“
...Für mich klang es wie: Der Anblick dieser Vogelspinne würde selbst eine Nonne in die Arme des Gehörnten treiben, wenn Sie wissen, was ich meine.
...Der Spinnenverkäufer zwinkerte mir zu, während ich die von ihm gepriesene Schönheit bewunderte, ihre stark behaarten Beine, den Kopf mit den Beißklauen und das Hinterteil mit den Spinnwarzen.
...„Sie hat nicht nur acht Beine, sondern auch acht Augen und am Hinterleib Brennhaare, die sie einem Feind durch Reiben der Beine entgegenschleudern kann. Diese Haare besitzen Widerhaken und verursachen derart starke Hautreizungen, dass selbst körperlich weit überlegene Gegner auf einen Angriff verzichten.“ Er sah mich an. „Sie lächeln, warum lächeln Sie, mein Herr?“
...„Nun, ich dachte, vielleicht nehme ich doch lieber einen Trommelrevolver, um den Typ zu beseitigen, der meine Frau belästigt. Wäre humaner.“
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...Hah! Sie haben Humor, mein Herr. Aber weil Sie gerade von Schusswaffen reden. Wussten Sie, dass man aus Spinngewebe besonders leichte schusssichere Westen hergestellt und dass diese, was die Haltbarkeit betrifft, allen anderen Schutzwesten überlegen sind?“
...„Nein, wusste ich nicht.“
...„Doch! Ist so!“
...Der Zoofachverkäufer, der in mir endlich einen Kunden mit scheinbar endloser Geduld gefunden hatte, lief zur Hochform auf. Er sprach darüber, wie man Spinnen züchtet, was die Achtbeiner fressen und wie sie sich paarten. Es ging noch eine Weile so weiter, bis ich mich endlich für zwei mittelgroße Exemplare, ein Männchen und ein Weibchen, entschied und mich plus Futter und Einsteigerterrarium auf den Weg machte.
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Eigentlich brauchte ich das Terrarium nur für den Transport. Denn als das neue Zuhause meiner Spinnenfamilie hatte ich mein Badezimmer auserkoren,
genauer gesagt, die Öffnung in dem stillgelegten Kamin des alten Wasserboilers. Ein wahres Spinnenparadies, das zudem nahe der Kloschüssel lag. Und irgendwann würde meine widerspenstige Museumsschnecke dort sitzen, und aus dem schwarzen Loch in der Wand würden acht Beine … iieeehhh!
...Während ich einen Zug aus meiner Pfeife nahm, hörte ich förmlich ihren Schrei, sah mich mit einem Turnschuh in der Hand ins Badezimmer stürmen … wo Schneckchen mit dem Ruf „Hilfe, da ist eine Spinne!“ in meine Arme sinken würde ... Und dann würden wir es auf dem Badewannenrand treiben, wild und heftig … Schneckchen würde hinterher „oh, danke, mein Retter!“ seufzen, während ich, für sie vielleicht unverständlich, nur sagen würde: Danke, liebe Spinne, du hast deine Schuldigkeit getan!
...Und anschließend würde ich das Loch in der Wand wieder verschließen.
...Aber noch war es nicht soweit.
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...Denn das Nächste, was ich von meinem Schneckchen hörte, war, dass sie nicht kommen könne, sie sei krank, nichts Schlimmes, eine Unpässlichkeit.
...Na schön, nachdem ich so lange gewartet hatte, kam es auf ein paar weitere Tage auch mehr nicht an.
...Zecken, die zur Klasse der Spinnentiere gehören, so hatte mir der Zooverkäufer verraten, könnten Wochen, Monate und sogar länger warten, um sich dann im richtigen Augenblick auf ein vorbeistreifendes Opfer fallen zu lassen. Die richtige Taktik. Ich ging meiner Arbeit nach, vertickte für Freunde deren olle Klamotten bei Ebay und kümmerte mich um die Spinnenfamilie. Wenn ich in der richtigen Stimmung war, blies ich meinen Achtbeinern einen guten Zug ins schwarze Wandloch und hin und wieder, wenn sich ein
Exemplar der jungen Brut abseilte, schickte ich es,
wie anfangs schon erwähnt, mit dem brennenden
Joint in die ewigen Jagdgründe.
...So auch heute.
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Kurz zuvor hatte das Telefon geklingelt. Schneckchen war dran: „Ich dachte, ich komm mal vorbei.“
...Wann, wollte ich noch fragen, doch da hatte sie schon aufgelegt. War so ihre Art. Sie hatte eine Halbtagsstelle bei einer Jugendorganisation, half den Arbeitslosen bei Bewerbungsschreiben und sagte ihnen, wie sie sich bei Vorstellungsgesprächen anziehen mussten, um einen guten Eindruck zu machen. Nun, so ein Beratungsjob prägt, deshalb auch ihre knappen Ansprachen. Da konnte man nichts machen.
...Eine halbe Stunde später hörte ich sie an meiner Wohnungstür kratzen; wie Katzen es machen, wenn
sie ins Haus wollen. War auch so ihre Art.
...Ich machte die Tür auf.
..
Fortsetzung folgt ......
am 15. April.........