Niklaus Schmid


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Kurzkrimi Nr. 10

Kurzkrimi Nr. 10


Ein Weihnachtsmann auf Abwegen

**

Sein Gesicht unter dem riesigen Bart juckte.
Er schwitzte; der rote, mit weißem Pelz besetzte
Mantel war schwer. Schröer stapfte zur Rolltreppe.
Das Lohnbüro befand sich im vierten Stock.
...Zwei Angestellte arbeiteten dort, wie er wusste.
...Kein Problem!, dachte er. Seine Muskeln
spannten sich.
...„Schenkst du mir was?“ Das kleine Mädchen hatte große blaue Augen.
...Aber Schröer mochte Kinder nicht, auch keine mit großen blauen Augen. „Verdammt!“, entfuhr es ihm. Doch dann besann er sich auf seine Rolle und griff in die Manteltasche. Seine Finger berührten die Pistole – die Bonbons hatte er vergessen. „Später, Kleine, später“, grummelte er.
...Enttäuscht drehte sich das Mädchen um, und Schröer betrat das Lohnbüro.
...„Öffnen!“ Mit der entsicherten Pistole deutete er auf den Wandtresor. „Und keine Zicken!“

...Fünf Minuten später befand sich Schröer, den Jutesack mit Banknoten und Kleingeldrollen gefüllt, in der Fußgängerzone, wo Kinder und Erwachsene die Vorführung eines Puppenspielers bestaunten. Schröer wollte sich vorbeidrängen. Doch ein Griff an seinen Mantelsaum hielt ihn jäh zurück.
...„Hallo, lieber Weihnachtsmann!“ Es war das Mädchen aus dem Kaufhaus. „Gibst du mir denn jetzt etwas?“ Das Kind stieß mit seinem Kopf gegen eine Frau. „Mami, das ist der Nikolaus aus dem Kaufhaus.“
...„Ho, ho, ich hab noch einen weiten Weg vor mir“, sagte Schröer mit übertrieben dunkler Stimme. Es begann zu schneien.
...„Vielleicht nur ein Bonbon, guter Nikolaus“, zwinkerte ihm die Mutter des Mädchens zu. „Ich glaube, damit wäre meine Lisa schon zufrieden.“
...„Später, am Heiligen Abend, Lisa muss warten.“ Schröer machte einen Schritt zur Seite, doch die kleine Hand zog ihn wieder zurück.

**

...„Nein, jetzt! Bitte! Du hast es mir versprochen!
Und was man verspricht, das muss man halten.“
...Der Puppenspieler war der erste, der auf das quengelnde Kind aufmerksam wurde. „He, Alter, gib der Kleinen was, ist doch schließlich dein Job!“
...„Bestimmt ist das überhabt gar kein richtiger Weihnachtsmann“, plärrte das Mädchen. „Er hat ja keine Geschenke.“
...„Das wollen wir jetzt mal sehen!“, schlug der Puppenspieler vor, entriss Schröer den Gabensack
und hielt ihn dem Mädchen hin. „Hier, greif zu, hast freie Auswahl.“
...Unter dem Jubel der Zuschauer stieß die kleine
Hand in die Öffnung. Heraus kam sie mit einem
Bündel Banknoten. Ein Schrei aus vielen Kehlen:
„Die sind ja echt!“
...Auf einmal war es vorbei mit der weihnachtlichen

Stimmung. Hauen, Stoßen, Drängen, ein wildes Raufen
um den Jutesack begann, und Schröer sah nur noch eine Chance. Er zog die Pistole. „Das ist meine Kohle!“, schrie er.
...In diesem Moment ertönte die Sirene eines Polizeiwagens. Schröer pfiff auf Nikolausrute und Gabensack. Auch die Pistole ließ er fallen. Schon
sah er vor sich eine Lücke im Ring der Zuschauer, als hinter seinem Rücken eine kleine, aber durchdringende Stimme rief: „Peng! Du bist tot, böser Weihnachtsmann!“
...Schröer spürte, wie links in seinem Brustkorb eine Rippe splitterte, wie sich Blut und Schweiß unter seinem Nikolauskostüm vermischten. Als Nächstes fühlte er schmelzende Schneeflocken auf seinem Gesicht – und dann fühlte er gar nichts mehr.
...Nie mehr!

Eine neue Story folgt......
am 1. Januar
.......


Aktualisiert am 24. Dezember 2022 | kontakt@niklaus-schmid.de

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