Niklaus Schmid


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Kurzkrimi Nr. 2

Kurzkrimi Nr. 2


Didi und die alte Dame


Nahezu gleichzeitig traten sie an den Gemüsestand, der Mann mit der Stirnglatze und die alte Dame, die sich ein Hütchen über ihr weißes Haar gestülpt hatte. Während die Frau zwei Lauchstangen aussuchte, beobachtete sie der Mann aus den Augenwinkeln.
...„Macht einsdreißig, Oma Küppers“, sagte die Verkäuferin.
...Die alte Dame öffnete umständlich ihre Geldbörse. Dann steckte sie die Lauchstangen in ihr Netz und ging zum Nachbarstand, wo sie Vogelfutter kaufte.
...„Wusste ich's doch“, sagte der Mann für sich. „Genau der Typ, der einen Piepmatz hat und die Ersparnisse in der Matratze versteckt.“

*

...Er folgte ihr. Ihre langsame Gangart zwang ihn zu allerlei Manövern. Schließlich betrat sie ein Mietshaus, das einen ordentlichen Eindruck machte.
...Er lauschte. Ihr Federgewicht verursachte auf den Treppen kaum Geräusche. Durch die Stäbe des Treppengeländers sah der Mann, wie die alte Dame
ihre Wohnungstür aufstieß.
...„Hallo, schauen Sie mal!“, rief er und hielt ihr vom letzten Treppenabsatz die Lauchstange entgegen, die
er ihr im Marktgedränge aus dem Netz gezogen hatte. „Die ist Ihnen rausgerutscht.“
...„Ach, wie lieb von Ihnen. Warten Sie, ich komme.“
...„Unsinn, ich bringe sie Ihnen.“ Schon stand er
neben ihr.
...„Herzlichen Dank, Herr ...“
...„Hoppe“, sagte der Mann. „Ich wollte zu Schorn.“
Er wies zur Tür der Nachbarn.“ Aber anscheinend ist niemand zu Hause.“ Er atmete betont erschöpft und sagte: „Wenn ich Sie um ein Glas Wasser bitten
dürfte, die vielen Stufen.“
...„Aber ja doch, ich muss nur eben nach Didi sehen.“
...Hoppe zuckte zusammen, doch dann hörte er das Kreischen eines Wellensittichs. „So begrüßt mich
meiner auch immer“, sagte er.
...„Sie haben auch einen?“, fragte die alte Dame.
“Ach, kommen Sie doch herein.“
...„Meiner spricht wie ein Wasserfall“, sagte Hoppe, während er die Wohnung taxierte: Schöne Vasen, gediegene Möbel – hier war was zu holen.
...Er hörte die Alte in der Küche hantieren, dann kam

sie mit einem Glas zurück, stellte es vor Hoppe ab und
wandte sich dem Vogel zu.
...„Schau mal, Didi, wir haben Besuch. Das ist der Herr ... Wie war doch noch Ihr werter Name?“
...Der Mann trat hinter die alte Dame, er packte ihre Hand. „Schluss mit dem Theater! Wo ist die Kohle?“
...„Ich weiß nicht ...“
...„Wo?“ Der Druck seiner Hand verstärkte sich. „Entweder das Geld oder ...“
...Sie starrte ihn nur an, mehr enttäuscht als ängstlich. „Einer alten Frau wie mir kann man mit dem Tod nicht mehr drohen“, sagte sie tapfer.
...„Aber vielleicht gibt es ja etwas, was dir doch noch Angst machen könnte, Oma.“ Hoppes Blick wanderte
zu dem Käfig.
...„Bitte tun Sie Didi nichts!“, flehte sie verzweifelt. „Ich gebe Ihnen, was ich habe.“
...Er ging hinter ihr her, riss im Vorbeigehen das Telefonkabel aus der Wand und sah, wie die Alte im Schlafzimmer den Teppich hochschlug und einen braunen Umschlag hervorzog.
...„Na also“, sagte Hoppe. Es waren genau fünfhundert Euro, viel weniger, als er vermutet hatte. „Und das andere?“
...Sie schüttelte den Kopf.
...Wortlos schnappte sich Hoppe den Vogelkäfig und trug ihn zum Fenster. „Ich frage jetzt noch einmal nach der restlichen Kohle, ist die Antwort nicht gut, macht Didi den Abflug.“
...Hilflos hob Oma Küppers die Arme.

**

...Nachdem Hoppe die Klappe geöffnet und den Käfig geschüttelt hatte, flog der Vogel zum Fenster hinaus.
...Hoppe hörte das Schluchzen der Alten und wusste, dass sie die Wahrheit gesagt hatte. Er ging zur Flurtür.
...Sie war verschlossen – mit einem stabilen Zahlen-
schloss. Sofort war Hoppe zurück bei der Alten. „Die Zahlenkombination!“, herrschte er sie an.
...„Ich weiß nicht, ich habe sie vergessen. Die Aufregung!“
...Hoppe strich sich über die Stirnglatze. „Oma“, sagte er und zwang sich zu einem sanften Tonfall, „hast du vorher schon einmal die Zahlen von diesem Schloss vergessen?“
...„Ja, das habe ich.“
...„Und was hast du da gemacht?“
...„Dann habe ich einfach ...“ Ihre Hand zuckte zu den Lippen.
...„Was, wo? Los, sag schon!“
...„Dann habe ich einfach auf Didis Ring geschaut, es waren nämlich die Zahlen auf dem Ring an seinem Füßchen.“

....Hoppe stürzte ans Fenster. Da war der verflixte Wellensittich! Belästigt von einer Bande Spatzen tänzelte Didi an der Dachrinne entlang. Hoppe machte einen Schritt zurück ins Zimmer. Sein Blick fiel auf Omas Kapotthut.
...„Didi, Didilein, komm, komm“, lockte Hoppe, den Hut um Schnappen bereit. Der Vogel trippelte tatsächlich heran, näher und näher. Hoppe sah den Ring am Füßchen, er sah sogar die Nummer.
...Dann sah er plötzlich etwas anderes, den Himmel über sich, die Straße unter sich, sie kam näher, näher ...

„Komm, Didi, komm, so ist brav.“ Der Wellensittich flatterte zum Fenster herein. Er setzte sich auf den ausgestreckten Finger.
...„Da bist du ja, mein Didi“, sagte die alte Dame voller Zärtlichkeit. „Der Besuch ist weg, der böse, ist plötzlich weggeflogen. Jetzt kriegt der Junge Körnchen, und Mama macht sich einen schönen Tee.“

- ENDE -

Eine neue Geschichte folgt
am 1. Februar

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Aktualisiert am 15. Januar 2021 | kontakt@niklaus-schmid.de

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